„Müde bin ich…“ oder: Eine Dichterin in der Carlstadt

Kaum jemand aus meiner Generation hat als Kind nicht dieses Gebet zum Einschlafen rezitiert. Auch wenn meist nur der erste Absatz kurz heruntergerattert wurde und ich auch nicht mehr Text erinnere… und genau deshalb kommt hier das komplette Gedicht „Müde bin ich, geh zur Ruh“:

Nachtgebet

Müde bin ich, geh zur Ruh,
Schließe beyde Aeuglein zu:
Vater, laß die Augen dein
Ueber meinem Bette seyn!

Hab’ ich Unrecht heut gethan,
Sieh es, lieber Gott, nicht an!
Deine Gnad’ und Jesu Blut
Macht ja allen Schaden gut.

Alle, die mir sind verwandt,
Gott, laß ruhn in deiner Hand.
Alle Menschen, groß und klein,
Sollen dir befohlen seyn.

Kranken Herzen sende Ruh,
Nasse Augen schließe zu;
Laß den Mond am Himmel stehn,
Und die stille Welt besehn!

(Müde bin ich, geh zur Ruh (1816), Text des Erstdrucks 1829)

Komischerweise habe ich mich nie gefragt, von wem dieses Nachtgebetchen stammt. Es wurde einem aber auch nicht ungefragt beigebracht. Vermutlich weil es eben keinem berühmt gewordenen Goethe, Heine oder Brentano aus der Feder geflossen ist, sondern einer Frau: Louise Hensel. Und die Werke von Frauen zählten früher einfach nicht.

Über den Namen Louise Hensel stolperte ich am Haus des Heine-Instituts in der Bilker Straße 12-14 in der Düsseldorfer Carlstadt – und schon das Lesen der Plakette katapultierte mich am hellichten in mein Kinderbettchen zurück, wo ich zur Schlafenszeit von meiner Großmutter feldherrlich überwacht beten musste. „Müde bin ich, geh zur Ruh“ war so herrlich kurz, dass es mein Standard war.

Wobei ich heute immer in mich hinein schmunzele, wenn ich an dieses Gebetchen denke. Denn meines habe ich unter den gestrengen Ohren der Oma immer verschliffen zu:
Müde bin ich Känguru
Schließe meinen Beutel zu.
Lege beide Ohren an
Damit ich besser schlafen kann.

Wer war Louise Hensel? Eine „deutsche christliche Dichterin“. Laut der am heutigen Heinrich-Heine-Institut in der Bilker Straße angebrachten Tafel (meine Anerkennung dafür geht an die Düsseldorfer Jonges, die diese Tafel schon 1955 hier anbringen ließen) lebte sie drei Jahre lang in diesem Haus. Doch ihre Düsseldorfer Jahre werden fast nie explizit erwähnt. Meist liest es sich so verklausuliert wie hier im Internetportal Westfälische Geschichte: „Luise Hensels erste Station war das katholische Münsterland. Sie arbeitete als Gesellschafterin und Lehrerin für die Töchter der Gräfinnen Salm und Stolberg. Im Münsterland wie später auch im Rheinland kam sie mit führenden Personen des Katholizismus in Kontakt.“

Nur soviel: Für den Dichter Clemens Brentano war sie die große Liebe, aber sie wies ihn zurück. Denn eigentlich wollte die in einem protestantischen Elternhaus Aufgewachsene am liebsten Nonne werden und in ihrem Herzen „soll niemand drin wohnen als Jesus allein“. Seine heiße Liebe wandelte sich in Freundschaft und er betraute sie mit seiner Nachlassverwaltung.

Übrigens: Die Komponistin Fanny Hensel war ihre Schwägerin. Sie war eine geborene Mendelssohn – und Schwester des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy. In seinem Leben hat Düsseldorf auch eine Rolle gespielt … aber das ist das Thema eines anderen Blog-Beitrags ;) Was ich damit sagen will: Die kulturelle High-Society gab sich damals in Düsseldorf ein Stelldichein.

Und wenn Sie mehr über „Düsseldorfs starke Frauen“ lesen wollen: Meine Stadtführer-Kollegin Antje Kahnt hat ein großartiges Buch über 30 Powerfrauen geschrieben, die – die eine länger, die andere kürzer – in Düsseldorf gelebt und gewirkt haben und für die unsere Stadt prägend war: https://www.stadtstreicherin.de/stadtschreiberin/duesseldorfs-frauen/

Mehr über das Leben der Louise Hensel lässt sich auch in der Wikipedia nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Luise_Hensel

Wenn Sie nun Interesse haben, mit mir auf den Spuren von Dichtern und Dichterinnen, Denkern und historischen Persönlichkeiten zu wandeln, deren Bezug zu Düsseldorf Ihnen möglicherweise bislang nicht bewusst war, dann lade ich Sie herzlich dazu ein. Kontaktieren Sie mich!

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